Es ist Samstag Morgen, mein erstes wohlverdientes Wochenende als Azubine der Mechatronik. Alles tut weh, aber darunter mischt sich auch Stolz. Ich habe es geschafft, jeden Morgen um 5 aufzustehen, mich auf’s Fahrrad zu schwingen, den Regio zu nehmen, um dann um 8 am Schraubstock zu stehen und loszufeilen. Alleine das stundenlange Stehen ist eine Herausforderung, vom stundenlangen Feilen und Sägen mal ganz abgesehen. Jemand schonmal einen Fünfzehner Radius in Stahl gefeilt? Geht schon ganz schön auf die Hände und Arme. Na gut, denk ich mir, körperliche Schmerzen sind mir nicht fremd und vorbildliche Yogalehrerin, die ich so bin, mach ich zwischendurch eben mal ne Pause, geh mal kurz raus und mach ein paar Dehnübungen als Gegenbewegung. Also Vorbeuge, Schultern kreisen und die Hand an der Wand in Gegenbewegung zum verkrampften Feilen/Sägen/jegliches Werkzeug halten, als eine völlig entgeisterte Stimme plötzlich aus dem Off meine vorbildliche Zen-mäßige Selbstfürsorgeaktion stört:
„Was machst’n du da bitte? Versuchste die Wand zu halten oder watt?“
Es ist Kim, 18 Jahre jung und in meiner 17 Jahre älteren Unbedarftheit versuche ich ihr irgendwas von Yoga, Gegenbewegungen und Krankheiten zu erzählen und dass man das wenn man 18 und gesund ist, wohl nicht verstehen kann, wenn man aber Mitte 30 ist und Rheuma und Colitis Ulcerosa hat, würde das eben schon Sinn ergeben. Freundlicherweise schaltet sich Antonia, Mitte 20, in mein Gestammel ein und erzählt von Ihrem Vater, der LKW Fahrer ist und dessen Hände ganz verkrümmt sind mit den Jahren, ein Umstand der der Tatsache geschuldet ist, dass er eben keine Gegenbewegungen gemacht hat. Ich nicke eifrig und auch Kim ist diesbezüglich einsichtig, doch mich beschleicht das Gefühl, dass ein ganz entscheidender Punkt an mir vorbeigegangen ist. Irgendwas habe ich hier ganz und gar missverstanden.
Dieses Gefühl verstärkt sich auch, als meine Pausenbrotdose bewertet wird („Hast du da etwa Gaffa um deine Brotdose gewickelt?“), meine Haarfrisur bemängelt wird („Na dit sieht ja wunderschön aus.“) und mein Witz als nicht witzig deklariert wird – unser erstes Werkstück war ein Flaschenöffner in Haifischform und ich hatte auf der Vorderseite „hi“ und auf der Rückseite „fisch“ eingraviert, hier und nicht ohne Stolz, ein Foto von meinem ersten Werkstück:

Allerdings muss ich zugeben, dass der Hi-Fisch im Praxistest dann doch so seine Probleme hatte, mir den Zugang zu meinem wohlverdienten Feierabendbier zu ermöglichen. Hat aber dann mit einigen Mühen auch geklappt, dit Feierabendbier hat geschmeckt und der Start in die Ausbildung als überdurchschnittlich alte und weibliche Azubine der Mechatronik ist mehr als gelungen, kurz: man kriegt mir das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht gewischt.
Und mit der Späne fiel dann am Ende auch noch der Groschen: Für Jugendliche ist das gegenseitige Dissen durchaus eine adäquate Form der Sympathiebekundung. Ich werde gemocht! Und so bleibt mir nichts anderes, als mich zu freuen, zu grinsen, das nächste Feierabendbier zu öffnen, auf meine neue Freundin Kim zu prosten und euch Luschen, die ihr nix besseres zu tun habt, als das hier zu lesen, daran zu erinnern, dann wenigstens nen scheiss Kommentar zu posten. Prost.